(*** Triggerwahrnung! ***)
„Vertrauen Sie Ihrer Intuition.“ Diesen Satz habe ich in dieser Woche wieder einmal gesagt bekommen. Jedoch ist es leichter gesagt als getan.
Für Betroffene ist dieser Satz manchmal wie ein Schlag ins Gesicht, auch wenn es keinesfalls so gemeint ist.
Betroffene Menschen, die eine akute Phase erlebt haben, haben eine beängstigende Zeit voller Unsicherheit erlebt, die kaum ein Außenstehender nachempfinden kann.
Als ich damals in der Klinik gewesen bin, habe ich Dinge gesehen, gerochen und gefühlt, die nicht real waren (Wahnvorstellungen). Ich konnte für eine bestimmte Zeit meinen eigenen Sinnen nicht trauen. Dies hat eine solch erschütternde Auswirkung auf das Selbstvertrauen und das gesamte weitere Leben wie man es sich kaum vorstellen kann…
Beispiele:
Ich bin Spazieren gegangen. Es lag ein großer Zweig auf dem Weg. Ich hatte große Angst daran vorbei zu laufen. Dieser Zweig hatte aus meiner Sicht eine versteckte Bedeutung, die ich unbedingt entschlüsseln musste als ginge es um Leben und Tod. Es gab aus meiner Sicht einen wichtigen Grund warum dieser Zweig gerade jetzt dort lag. Ich starrte ihn wie hypnotisiert an und bewegte mich keinen Schritt weiter. Zwischen dem Zweig und mir lag eine unüberwindbare Spannung. Wie zur Salzsäule erstarrt stand ich da. Nur durch die Hilfe eines anderen Patienten, der mich beruhigte indem er nachfragte und erklärte, dass dies einfach nur ein Zweig sei den der Wind vom Baum geweht hatte, konnte ich weitergehen.
Ein anderes Erlebnis hatte ich mit einem Vogel, der öfter vor dem Fenster auf einer Laterne saß. Es sah für mich so aus als hätte er eine Antenne auf dem Kopf. Ich dachte, dass der Vogel mich verfolgen und Videoaufnahmen von mir machen würde. Das war schon beängstigend.

Ganz unheimlich fand ich es als in der Patientenecke TV gesehen wurde und eine Fernsehwerbung für Spülmittel lief. Auf einen Schwamm, der wie eine Scheibe Weißbrot aussah, ließ man das blaue Spülmittel fließen so dass es wie ein Aufstrich aussah.
Am nächsten Morgen beim Frühstück bekam ich Angst vergiftet zu werden als es Weißbrot mit Marmelade gab. Ich nahm an, dass die Medikamente meine Sinne verfälschten und mir vorgaukelten, dass ich Brot mit Marmelade esse, obwohl es in Wirklichkeit ein Schwamm mit Spülmittel war. (Ein wenig wie in dem Film Matrix.)
Ich dachte, dass wir Patienten vom Klinikpersonal getäuscht und vergiftet würden. (Im zweiten Weltkrieg sind ja einige Menschen mit Behinderungen umgebracht worden.) Das war sehr gruselig, weil ich mich nicht mehr traute etwas zu essen. Gleichzeitig hatte man keine vertraute Person um sich, die man hätte fragen können und der man auch hätte glauben können, wenn sie sagt, dass es sich tatsächlich um Brot und Marmelade handelte. Das medizinische Personal oder andere Patienten können diese Rückversicherung in einem bestimmten Stadium der Erkrankung nicht vollumfassend geben. (Ich habe den Schwamm mit Spüli einmal „nachgebaut“, siehe Foto.)
Ich begreife es als großes Glück, dass es heutzutage Medikament gibt, die diesen akut-psychotischen Zustand (in den meisten Fällen) beenden können. Mir haben sie geholfen wieder zurück in ein (fast) normales Leben zu finden.
Auch heute nehme ich Medikamente, v.a. in der anspruchsvollen Corona-Zeit.
Diese erwähnten Sinneserfahrungen hinterlassen jedoch ihre Narben.
– Narben, die heilen wollen.
– Narben, die sehr weh tun können.
– Narben, die das Selbstvertrauen beeinflussen.
– Narben, die behandelt werden können.
Ich bin froh, dass ich eine sehr gute Neurologin habe. Sie sagt, dass jeder einzelne Tag, den man nach einer akuten Phase erlebt ein guter Tag ist. Ein Tag, der Schritt für Schritt in ein normales Leben zurück führt und die Narben heilt. Bei mir ist es jetzt mehr als 15 Jahre her. Ich konnte bereits eine gute Resilienz (Wiederstandskraft) aufbauen, die jeden Tag ein klein wenig besser wird.
Ich habe bewusst von eher leichteren Beispielen berichtet. Menschen, die betroffen sind haben sicher (genauso wie ich) auch unangenehmere Erfahrungen gemacht.
Seid milde mit Euch und begegnet Euch mit Wohlwollen, wenn an Eure Intuition oder Euer Selbstvertrauen appelliert wird. Es ist herausfordernd.
Und doch gibt es ein kleines Pflänzchen „Selbstvertrauen“ im Inneren, dass Stück für Stück, Tag für Tag größer wird. Es steckt in uns ein tief verwurzeltes Urvertrauen. Es ist unserer unversehrter Selbstwert, welcher nie verletzt wurde. Wir dürfen uns an diesen Teil erinnern. Wir dürfen ihn pflegen, versorgen und wachsen lassen. Dieser Teil ist nie berührt worden. Er ist immer da. Er ist unser Lebensfunke. Tief in uns. Geschützt und behütet. Durch diesen versteckten Teil sind wir immer noch hier.
Podcast Empfehlung:
Wer gerne mehr über den unversehrten Selbstwert erfahren möchte, dem empfehle ich die Podcastfolge von Verena König: „Erkenne die Kraft Deines Selbstwertgefühls // Podcast #52“ –>https://www.youtube.com/watch?v=unpWdn3jGKE
Verena König klärt in ihren Beiträgen über die Entstehung und die Auswirkungen von Traumata auf und stellt verschiedene Lösungsstrategien vor.
Ein Reinhören lohnt sich.