Studieren mit Handicap

Ein Studium ist ein anspruchsvoller Lebens- und Entwicklungsabschnitt. Es war die beste und herausforderndste Zeit meines Lebens. Gerade mit der Krankheit im Gepäck war es sehr anspruchsvoll. Und deshalb bin ich besonders stolz gewesen, als ich mein Diplom mit einer Note von 1,9 in den Händen hielt.

Studieren mit Handicap

Bist Du gesundheitlich eingeschränkt und möchtest studieren? Oder Du kennst jemanden, der mit einem Handicap studieren möchte? Dann findest Du hier einige Punkte zusammengefasst:

1. Bewerbung um Studienplätze.

Wer sich mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit für einen zulassungsbeschränkten Studiengang (Numerus Clausus, kurz NC) bewerben möchte, der hat die Möglichkeit, die Chance auf eine Zulassung an der Hochschule zu verbessern. Dafür stehen verschiedene Sonderanträge zur Verfügung (siehe Bild):

Quelle: Website einer Hochschule
Quelle: Website einer Hochschule

Erst zum Ende des Studiums habe ich vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses erfahren, dass meine eingegangene Studienplatzbewerbung einschließlich der Sonderanträge A und D, damals im Gremium diskutiert wurde, ob eine Aussicht auf einen erfolgreichen Studiumabschluss bestünde. Das Abschlusszeugnis gibt ihrer Entscheidung recht.

2. Facharzt/ Therapeuten am Studienort finden

Wenn man nicht am Wohnort studiert, ist es wichtig einen Facharzt Vorort zu finden. Der Facharzt ist ein wichtiger Ansprechpartner für Medikamente und Atteste.

3. Prüfungzeiten Verlängern

Studierende dürfen ihre durch Behinderung oder chronische Krankheit bestehenden Nachteile im Prüfungsgeschehen aufzeigen und durch entsprechende Hilfen ausgleichen lassen.

Es muss ein Antrag auf „Nachteilsausgleich im Prüfungsverfahren“ gestellt werden. Der Ausgleich wird individuell gewährt, angemessen an den jeweiligen Benachteiligungen. Für die Beantragung ist es unerheblich, ob die Beeinträchtigung amtlich festgestellt ist (kein Grad der Behinderung erforderlich).

Der Facharzt kann ein Attest zur Verlängerung der Prüfungszeit ausstellen in Prozent oder in Zeiteinheiten. Bei mir waren es 30% der Prüfungszeit, die ich länger für die Prüfungen zur Verfügung hatte. Dieses Attest sollte vier Wochen vor Beginn des Prüfungszeitraumes Prüfungsausschusses der Fakultät eingereicht werden. Das ist auch relevant für die Planung der Prüfungsräume, die dann länger belegt sein werden.

Es kann auch helfen, einige Prüfungen in den Nachprüfungszeitraum (Beginn des Folgesemesters) zu verschieben. Manchmal sind es sehr viele Prüfungen am Semesterende.

4. Mental stärken

Ein Studium bringt ein enormes Stresslevel mit sich. Die vielen Fächer, Praktika und Prüfungen wollen gut bewältigt werden. Wenn das Nervenkostüm stark belastet ist, ist eine begleitende Verhaltentherapie oder Gespräche beim Sozialosychiatrischen Dienst zu empfehlen. Das klingt im ersten Moment vielleicht etwas erschreckend, doch diese Termine helfen dabei die Gedanken zu sortieren und dem Nervensytem sich zu regulieren.

Ich habe beides genutzt. Zunächst war ich bei einem Verhaltenstherapeuthen. Meine Neurologin hatte es mir wärmstens empfohlen. Als das Zeitkontingent nach mehreren Verlängerungen zu Ende ging, suchte ich eine Sozialarbeiterin auf. Die Gespräche haben mir sehr viel Kraft gegeben und mich motiviert auf der Zielgeraden des Studiums zu bleiben.

5. Hochschulsport, Natur und Vitamine

Es gibt ein großes Sportangebot an den Hochschulen, welches zu besonders günstigen Semesterbeiträgen genutzt werden kann. Bewegung ist ein guter Ausgleich zu den vielen Vorlesungszeiten (je nach körperlichen Vorraussetzungen). Mir haben Yoga, Tanz- und Stepaerobic am besten gefallen.

Auch Zeit in der Natur zu verbringen, macht den Kopf wieder klar und aufnahmefähig: ein Spaziergang oder Sitzen an einem Gewässer mit dem Blick auf die reflektierende Wasseroberfläche.

Als meine Kräfte sehr verbraucht waren, habe ich mich entschieden eine Vitamin B Kur zu machen. Eine Allgemeinärztin verabreichte mir einmal pro Woche eine kleine Vitamininjektion in für ca 10 Wochen.

5. BaFöG zwei zusätzliche Semester

Wenn man BaFöG bezieht, dann darf man sich freuen. Bei außergewöhnlichen Belastungen bekommt man auch nach der Regelstudienzeit bis zu zwei weitere Semestern die staatliche Unterstützung. Falls man sich im Studienbeirat oder Fachschaftsrat engagiert, erhält man noch ein zusätzliches Semester BaFöG hinzu.

Mein Weg durch das Studium

Das Studium hat mich an meine Grenzen gebracht und mich über mich hinauswachsen lassen. Ich habe mir ein Ziel weit außerhalb meiner Komfortzone gesetzt. Und ich habe es erfolgreich abgeschlossen, was das Selbstwertgefühl gestärkt hat. Es gab auf diesem Weg viele Tiefpunkte. Ich war mit 18 Jahren an Schizophrenie (chronische Erkrankung) erkrankt und hatte mit 23 Jahren einen Rückfall. Beide Male musste ich viele Wochen in einer Klinik behandelt werden. Es war eine furchtbare Erfahrung, bei der man seinen eigenen Sinnen, für eine begrenzte Zeit, nicht trauen konnte.

Mit diesem Handicap zu studieren, war eine große Herausforderung. Kurz vor Ende des Grundstudiums war bereits das Stresslevel so hoch, dass meine Medikamente nicht mehr gewirkt haben. Mir ging es seelisch sehr schlecht, ich kam kaum noch aus dem Bett und verschlief auch schon mal eine Prüfung.

Mit der Neurologin wurde ich auf ein anderes Medikament umgestellt, was in dem Zustand gar nicht so einfach war. Gleichzeitig wurde ich von einem Psychologen mit einer Verhaltenstherapie begleitet. Leider wirkte das neue Medikament auch nicht. Ich dachte über ein Urlaubssemester nach. Da ich an einer Hochschule studiert habe, hätte ich ein ganzes Jahr, also 2 Urlaubssemester pausieren müssen, um wieder einsteigen zu können. Doch wir waren der letzte Diplomstudiengang bevor das Bachelor-Mastersystem eingeführt wurde. Also hieß es Durchhalten oder Aufhören.

Ich war kurz davor das Handtuch zu werfen. Doch mein damaliger Lebensgefährte hat mir verbal „in den Hintern getreten“ und Druck ausgeübt, dass ich am Ball bleiben solle. Es war im ersten Moment sehr schwer auszuhalten. Doch am Ende des Studiums und heute bin ich dankbar dafür. In den Semesterferien bin ich in eine Tagesklinik gegegangen und habe mich erneut auf ein neues Medikament einstellen lassen. Es war eine Empfehlung der Neurologin. Die Wahl fiel auf ein Medikament, welches auch in der Schwangerschaft eingenommen werden darf, was sich später als Segen erwies als ich Mutter wurde. Meine Kommilitonen verbrachten die Semesterferien mit Reisen oder Arbeiten. Ich saß in einer Tagesklinik. Zum Glück hatte dieses Mal alles gut geklappt und nach anfänglichen Schwierigkeiten kam ich mit dem neuen Medikament sehr gut zurecht. Es hatte auch antidepressive Wirkanteile. Ich lachte wieder sehr viel und hatte wieder richtig guten Appetit.

Das Diplomsemester war noch einmal herausfordernd. Da ich das Praxissemester wiederholt hatte (eine gute Übung), war ich das 3. Semester über der Regelstudienzeit. Deshalb gab es nun kein Bafög mehr. Ich verdiente Geld mit Schülernachhilfe. Es war eine sehr interessante und lehrreiche Erfahrung, die mir auch viel Spaß gemacht hatte. Als ich nach vielen Wochen harter Arbeit die gedruckte Diplomarbeit in den Händen hielt, war ich sehr froh und übergab sie mit einem Gefühl der Erleichterung. Es folgte eine kleine Reise zur Belohnung und Entspannung. Dann hieß es noch einmal alle Kräfte zusammen nehmen und die Verteidigung vorbereiten. Zur Verteidigung kamen Freunde und Familie. Als ich endlich meine Präsentation beendet und alle Fragen beantwortet hatte, war ich stolz und ehrlicher Weise sehr ausgepowert. Mein Prof hielt noch eine kurze anerkennende Ansprache zu meinem Weg durch das Studium. Ich war sehr gerührt. Das Studieren an unserer kleinen Hochschule war sehr familiär. Man konnte jederzeit mit den Profs sprechen und hatte ein enges Miteinander mit den Kommilitonen. Es gab einen eher schulischen Rahmen für die Fächer und viele Praktika. Der Dekan meines Fachbereichs hatte auch ein sehr wertschätzendes Schreiben für das Bafögamt erstellt, damit ich aufgrund von außergewöhnlichen Belastungen auch im 2. Semester über der Regelstudienzeit Bafög erhalte.

Der gute Studienabschluss hat mir ermöglicht einen sehr gut bezahlten Teilzeitjob in einem sehr begehrten Wirtschaftszweig zu bekommen. Die harte Arbeit hat sich gelohnt. Ich hatte aber auch sehr viel Spaß und hatte viele tolle Menschen kennengelernt. Letztes Jahr habe ich mit meinem Kind am Studienort Urlaub gemacht. Ich habe auch meinen Prof und die Dozentin besucht, die mich im Diplomsemester begleitet haben. Ich war ihnen gegenüber sehr dankbar.

Wer mit Handicap studieren möchte, dem wünsche ich viel Mut. Es gibt viele Menschen, die unterstützen können. Wer eine Frage hat, kann sie gern in die Kommentare schreiben. Ich antworte gern.

Liebe Grüße Theia 🌙

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